REGENERATIVE TECHNOLOGIEN
BEHERRSCHEN

Start


Nachhaltigkeit ist in der Weiterbildung im Handwerk von zentraler Bedeutung, denn lebenslanges Lernen ist die Voraussetzung für die Umsetzung vieler Nachhaltigkeitsaspekte wie Klima- und Ressourcenschutz, ökonomische Stabilität und Innovationsfähigkeit. Ressourcenschonendes, auf Werterhalt ausgerichtetes Arbeiten und generationsverträgliches Handeln haben im Handwerk Tradition. Handwerker und Handwerkerinnen sind die Umsetzer der Energiewende. Dafür ist es notwendig, neueste Techniken und Technologien zu beherrschen, und mit Weiterbildung stets am Puls der Entwicklung zu bleiben.

Das Handwerkskammer Bildungszentrum (HBZ) legt seit langem Wert auf innovative und zukunftsorientierte Qualifikationen. Bereits 2009 erhielt es die Auszeichnung „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Mit der „Grünen Werkstatt“ und dem „Demonstrationszentrum Bau und Energie“ haben wir früh wichtige Impulse für Nachhaltigkeit in der Weiterbildung gegeben.

Wir richten einmal im Jahr einen Nachhaltigkeitstag aus und wollen damit unseren Mitgliedsbetrieben Impulse für die Umsetzung in der Praxis geben. 2021 haben wir erstmalig eine Weiterbildung angeboten, die sich ausschließlich der nachhaltigen Betriebsführung im Handwerk widmet. Aktuell entwickeln wir Lerninhalte zur Nachhaltigkeit und zur Energieeffizienz, die wir in Meistervorbereitungskurse integrieren wollen, um so eine breite Streuung dieses zukunftsweisenden Wissens zu gewährleisten.

Katharina Semmler
Geschäftsführerin
Geschäftsbereich Berufsbildungsstätten
 

Mut für eine Klimarevolution durch Energiewende

Waren sich einig – Klimaschutz braucht das Handwerk (v.l.): Frank Steffens, Hans Hund, Prof. Dr. Sabine Flamme, Prof. Dr. Volker Quaschning und Katharina Semmler

Waren sich einig – Klimaschutz braucht das Handwerk (v.l.): Frank Steffens, Hans Hund, Prof. Dr. Sabine Flamme, Prof. Dr. Volker Quaschning und Katharina Semmler


Prof. Dr. Volker Quaschning diskutierte auf dem Nachhaltigkeitstag der HWK Münster


„Wir brauchen eine echte Klimarevolution.“ Mit diesem Weckruf wandte sich Prof. Dr. Volker Quaschning an die Bauunternehmerinnen und -unternehmer, die im November 2021 am Nachhaltigkeitstag der Handwerkskammer (HWK) Münster auf Haus Kump in Münster teilnahmen. Der Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft verlangte eine völlig andere Klimapolitik. Nur so lasse sich das Ziel des Pariser Klimaabkommens erreichen: den globalen Anstieg der Durchschnittstemperatur auf 1,5 bis 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Dafür würden auch mehr Fachkräfte im Handwerk gebraucht.

Der Wissenschaftler skizzierte die Auswirkungen des drohenden Klimawandels: den Anstieg der Meeresspiegel, das Zusammenbrechen der Nahrungsmittelversorgung, einen extremen Anstieg tödlicher Hitzetage. Er prognostizierte gewaltige soziale Folgen und Generationenkonflikte. Hauptproblem sei der fehlende Wille zu mehr Klimaschutz.

Als problematisch sah er konkret unsanierte Häuser an. Der Energiebedarf von Gebäuden müsse deutlich sinken; Dämmung und Holzbau optimierten die Klimabilanz. Quaschning appellierte an ein sofortiges Ende des Einbaus von Öl- und Gasheizungen. Wärmepumpen seien die Alternative. Eine radikale Verkehrswende erfordere ein anderes Mobilitätsverhalten. Die Produktion von Benzin- und Dieselautos müsse enden, Elektromobilität für alle ermöglicht werden. Der Bedarf an mehr Flächen für Windräder müsse gedeckt und jedes Dach mit Photovoltaik ausgestattet werden. Zudem: „Wir brauchen tausendmal so viele Speicher wie heute.“ Langzeitspeicher seien die Lösung für eine regenerative Stromversorgung. Dies scheitere nicht am Ressourcenmangel. Klimaschutz sei eine Herkulesaufgabe für die nächste Bundesregierung, bekräftigte Quaschning.

Für das nötige Tempo der Energiewende fehlten in Deutschland die Fachkräfte – gebraucht würden etwa eine Million, davon 200.000 allein für die Installation von Photovoltaik, so der Experte. Deren Aus- und Fortbildung sei die größte Herausforderung. „Handwerksbetriebe sind die Umsetzer der Energiewende“, betonte auch HWK-Präsident Hans Hund. Es seien die Handwerkerinnen und Handwerker, die den Klimaschutz in den Gebäuden installieren müssten. Er schrieb den Betrieben eine weitere Herausforderung zu: Ein zukunftsfähiges und wirtschaftlich stabiles Unternehmen brauche auch selbst eine nachhaltige Betriebsführung. Hierfür halte die Handwerkskammer ein breites Angebot bereit.

In der anschließenden Diskussion, die HBZ-Leiterin Katharina Semmler moderierte, betonte Prof. Dr. Sabine Flamme vom Institut für Infrastruktur, Wasser, Ressourcen, Umwelt der FH Münster: „Klimaschutz gelingt nicht ohne Bauwende. Wir brauchen neben Geld und Fachkräften eine Kreislaufschließung zur Ressourcenschonung.“ Es gelte, mit Material zu bauen, das im Kreislauf gehalten werden könne, und wiederverwendbares Material einzusetzen. Die Wissenschaftlerin empfahl, mehr über Baustandards und weniger über Individualisierung nachzudenken.

Aus der Unternehmerpraxis teilte Geschäftsführer Frank Steffen seine Erfahrungen auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit des Baubetriebs Brüninghoff in Heiden: „Eine Zertifizierung beispielsweise durch Umsetzung der Umweltmanagementnorm DIN ISO 14001 kann eine Möglichkeit der Bewusstseinsänderung sein, die einen Paradigmenwechsel herbeiführt.“ Letztlich komme es auf das persönliche Wollen an.

Alle Diskutanten waren sich einig, dass beim Neubau weniger mehr sei: kleiner Bauen, weniger Flächen verschwenden, nachhaltiges Material auswählen und Ressourcen durch Recycling schonen. Übereinstimmend wurde die Digitalisierung als wesentlicher Baustein gesehen, um Änderungen zu koordinieren, zum Beispiel in der Kreislaufwirtschaft.

Quaschning forderte auf der einen Seite mehr Mut zu guten Rahmenbedingen und Regeln, die weiterbrächten; Förderprogramme allein funktionierten nicht. Auf der anderen Seite müssten blockierende Regeln weg. Das Durchbrechen dieses Zwiespalts sei eine große Herausforderung. Steffen fand mehr Regeln schwierig und setzte mehr auf die persönliche Motivation. Flammes Credo: „Man kann mehr Nachhaltigkeit nicht komplett der Wirtschaft überlassen, aber wir dürfen die Macher nicht behindern.“
 

Interview mit Prof. Dr. Quaschning

"Handwerk ist Schlüssel zur Energiewende"


Prof. Dr. Volker Quaschning sagt, dass Deutschland seinen Energiebedarf bis 2040 vollständig aus erneuerbaren Energien decken kann. Wie dies machbar ist, darüber sprachen wir mit dem Ingenieurwissenschaftler und Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin vor dem Nachhaltigkeitstag 2021 der Handwerkskammer Münster. In diesem Interview spricht er über seinen Lösungsansatz zur Begrenzung der globalen Erwärmung mit Hilfe des Handwerks.

Kann die Energiewende noch gelingen?

Zeitlich wird es eng, will Deutschland das Pariser Klimaschutzabkommen noch einhalten. Dazu ist Eile und ein kräftiger Ruck erforderlich – wir müssen schon in den 2030-er Jahren klimaneutral werden und uns vollständig von Kohle, Öl und Erdgas verabschieden. Technisch ist das umsetzbar. Derzeit machen erneuerbare Energien 20 Prozent der Energiequellen aus. Wir müssen auf 100 Prozent kommen und dafür konsequent auf mehr Windparks und Solarenergie setzen. Wasserkraft und Biomasse bringen vergleichsweise wenig.

Besteht dann nicht das Problem der Dunkelflaute, also eine unzureichende Stromversorgung, wenn die Sonne nicht scheint und kein Wind weht?

Dafür sind sehr große Speicher die Lösung. Die Technik existiert schon, aber für die Anwendung brauchen wir bessere Rahmenbedingungen. Je mehr Speicher wir bauen, desto schneller gelingt der Kohleausstieg durch den Ersatz durch Windkraft und Sonnenenergie.

Welche Rolle spielt das Handwerk für die Energiewende?

Das Handwerk ist der Schlüssel zur Energiewende. In den nächsten Jahren müssen riesige Mengen an Solarmodulen installiert, Windräder aufgestellt, Gebäude gedämmt und Heizungen ausgetauscht werden. Für den Ersatz von Benzin- und Dieselautos durch Elektrofahrzeuge ist der energische Ausbau der Ladeinfrastruktur erforderlich. Das alles ist eine Herkulesaufgabe. Wir brauchen noch mehr Menschen, die im Handwerk die Energiewende umsetzen wollen. Die Nachwuchsgewinnung ist das Nadelöhr für das Erreichen des Klimaschutzes. Wir benötigen pro Jahr mindestens die vierfache Menge an Photovoltaik-Anlagen. Für die Ausführung werden 100.000 zusätzliche Menschen im Handwerk gebraucht. Die Technik und das Geld sind da, aber der Personalmangel ist die Achillessehne.

Welche Lösungen empfehlen Sie für Verkehr und Mobilität?

Elektro ist derzeit der wirtschaftlichste alternative Antrieb für Kraftfahrzeuge. Bei Transportern und kleinen LKWs gibt es immer noch eine Angebotslücke. Hier müsste Druck auf die Automobilindustrie ausgeübt werden. Wer ein Nutzfahrzeug ersetzen möchte, dem empfehle ich, nicht noch einmal ein falsches Auto zu kaufen, sondern ein Jahr zu warten und auf Elektro zu setzen.

Viehhaltung ist ein Co2-Treiber. Wie können Fleischereibetriebe, die nachhaltig arbeiten möchten, damit umgehen?

Der Fleischkonsum muss weltweit sinken. Wer weiterhin Fleisch isst, sollte auf Qualität aus der Region setzen, statt auf Masse. Fleischerbetriebe sind sicher gut beraten, ihr Angebot auf regionale und ökologische Produktion abzustellen. Und man kann sich auch etwas von den großen Anbietern abgucken, die zunehmend vegetarische und vegane Ersatzprodukte herstellen.

Können Betriebe noch Weiteres fürs Klima tun?

Ja: eine eigene PV-Anlage aufs Dach setzen, Speicher für Strom nutzen und durch Eigennutzung die Energiekosten senken. Das lohnt sich bei weiter steigenden Energiepreisen finanziell.
 

Den Lockdown bestmöglich genutzt

Friseurmeisterin Tanja Hartmann, Inhaberin des Salons Haar & Design Wahlbrink in Ibbenbüren

Friseurmeisterin Tanja Hartmann, Inhaberin des Salons Haar & Design Wahlbrink in Ibbenbüren.

Die Ungewissheit, wann der Corona-Lockdown ende, stelle die Friseure vor große Herausforderungen, erklärt Friseurmeisterin Tanja Hartmann, Inhaberin des Salons Haar & Design Wahlbrink in Ibbenbüren im Winter 2021. Die Stimmung in der Branche sei angespannt. „Wir dürfen zumindest Perücken weiterhin anpassen. Unser Team versucht die Zwischenzeit möglichst sinnvoll zu nutzen. Wir haben die Webseite neu gestaltet und die Nutzung Sozialer Medien intensiviert.

Es gibt Frisurentipps per Onlineberatung und Pflegeprodukte zum Kauf. So wollen wir mit unseren Kunden in Kontakt bleiben. Ich habe auch mein Energiekonzept optimiert und nach umfangreicher Vorbereitung in regenerative Technologien investiert – für mehr Nachhaltigkeit meines Salons. Ich hoffe, dass es bald weitergeht. Das Team und ich stehen mit einem gut durchdachten und bewährten Hygienekonzept in den Startlöchern.“
 

Grüner Wasserstoff für Brennstoffzelle

Installateur- und Heizungsbauermeister Paul Carsten Niehues aus Horstmar

Installateur- und Heizungsbauermeister Paul Carsten Niehues aus Horstmar.

„Wir müssen die Augen immer auch auf die Umwelt richten“, ist die Parole von Installateur- und Heizungsbauermeister Paul Carsten Niehues aus Horstmar. In seinem Haustechnikbetrieb setzt Niehues besonders gern auf Brennstoffzellen. Bei dieser innovativen Technologie handelt es sich um ein Heizsystem, das sowohl Strom als auch Wärme erzeugt und damit auf dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung beruht. In der Brennstoffzelle reagiert Wasserstoff mit Sauerstoff, wobei Wasser als Nebenprodukt entsteht.

„Das Ideal ist dabei der Einsatz von Grünem Wasserstoff, der durch Photovoltaik-Strom aus Sonnenenergie in einem Elektrolyseur entsteht.“ Viele in seinem wachsenden Kundenkreis seien ökologische Überzeugungstäter, aber die Brennstoffzelle sei vor allem auch ökonomisch äußerst interessant, da sich die Investition nach kurzer Zeit amortisiere, auch dank der Zuschüsse. Niehues sprach über seine Erfahrungen beim „Abenteuer Brennstoffzelle“ auf dem Nachhaltigkeitstag der HWK.
 

Bauen in Zeiten des Klimawandels

Dr. Jan Wenker (l.), Projektleiter für Forschung, Entwicklung und Innovation, und Geschäftsführer Frank Steffens von der Firma Brüninghoff in Heiden

Dr. Jan Wenker (l.), Projektleiter für Forschung, Entwicklung und Innovation, und Geschäftsführer Frank Steffens von der Firma Brüninghoff in Heiden.

„Nachhaltigkeit ist für unser Unternehmen und generell für die Baubranche essenziell“, sagt Dr. Jan Wenker (l.), Projektleiter für Forschung, Entwicklung und Innovation bei der Firma Brüninghoff in Heiden, die spezialisiert ist auf die Entwicklung, Planung und Umsetzung von Bau-Projekten. Da die Ressourcen in der Bauwirtschaft immer knapper werden, gewinne vor allem das Thema Kreislaufwirtschaft zunehmend an Bedeutung. „Die Einführung einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft ist mittel- und langfristig die wichtigste Möglichkeit, Zugriff auf Baumaterial zu haben, und zugleich neben dem ökologischen Aspekt der Nachhaltigkeit auch den ökonomischen zu berücksichtigen“, so Wenker. Derzeit entwickelt die Firma Brüninghoff solche Systeme zusammen mit verschiedenen Verbundpartnern speziell für die Bereiche Recyclingbeton und Holzbau. Auf dem Nachhaltigkeitstag der HWK Münster gab Jan Wenker detaillierte Einblicke in dieses Thema, Geschäftsführer Frank Steffens (r.) nahm an der Diskussionsrunde über das Bauen in Zeiten des Klimawandels teil.